Alleinerziehend in Berlin – ein Fallbeispiel

berlin-989111_640Anna Fischer* ist 38 Jahre und seit 12 Jahren alleinerziehend. Die Bauingenieurin arbeitet zurzeit als Bürohilfskraft in Teilzeit und verdient knapp 1100 Euro. Mit dem Kindergeld und dem monatlichen Unterhalt von 380 Euro für ihre 14-jährige Tochter hat sie ein Haushaltseinkommen von 1.580 Euro. Davon bezahlt sie rund 600 Euro für ihre Wohnung. Sie liegt damit knapp über der Armutsrisikoschwelle. Viel bleibt nicht übrig. „Ein Urlaub ist bei dem Geld leider gar nicht drin“, sagt sie und zuckt mit den Schultern.

Ihre Hochschulausbildung war viel versprechend. Sie hat mit sehr gut abgeschlossen. Noch während des Studiums brachte sie ihre Tochter zur Welt. Ihr Mann sicherte zu diesem Zeitpunkt das Familieneinkommen mit 1.700 Euro. Die Ehe brach jedoch zwei Jahre nach der Geburt auseinander. Anna Fischer zog mit ihrer Tochter aus der gemeinsamen Wohnung aus und war auf Unterstützung durch das Sozialamt angewiesen. Auf Unterhaltforderungen für sich selbst verzichtete sie. Die Unterhaltzahlungen für ihre Tochter kamen anfangs nur unregelmäßig und entsprachen auch nicht der Düsseldorfer Tabelle, bis sie das Jugendamt einschaltete.

Der Kindsvater nimmt die Tochter jedes zweite Wochenende zu sich. Eine Unterstützung bei der Betreuung der gemeinsamen Tochter unter der Woche findet nicht statt. Dies ist seit der Trennung so, weshalb Anna Fischer bei der Betreuung der Tochter während einer Erwerbstätigkeit vor allem auf institutionelle Angebote angewiesen ist.

Sobald ihre Tochter im Kindergarten war, suchte die Diplom-Ingenieurin nach einem Teilzeitjob, anfangs noch im Ingenieursbereich. Allerdings fand sie keine passenden Angebote, im Gegenteil: Es wurde stets eine hohe Flexibilität gefordert, die sie schon auf Grund der Kita-Öffnungszeiten gar nicht leisten konnte. „40 Stunden plus fünf bis zehn Stunden Fahrzeit und dann noch die Aussicht auf Überstunden kamen für mich einfach nicht in Frage. Es war aussichtslos. Ich hatte keine Chance. Nach acht Monaten habe ich dann einen Saisonjob angenommen“, erzählt sie. Sie verdiente 480 Euro, den Rest stockte sie mit Sozialhilfe auf.

Über einen Aushilfsjob erhielt sie eine 20-Stunden-Stelle für Büroorganisation in einer sozialen Einrichtung. „Das war reiner Zufall, jemand fiel aus. Ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob ich das kann“, sagte sie. Sie erarbeitete sich fehlendes Wissen und besuchte Weiterbildungen. „Zunächst lief es ganz gut. Das Beste war: ich musste das erste Mal nach vier Jahren nicht aufstocken“. Sie verdiente 830 Euro. Die Stelle wurde aber zunehmend zum Spießrutenlauf. „Die Arbeitsatmosphäre war überhaupt nicht familienfreundlich. Jedes Mal, wenn ich pünktlich gehen musste oder wegen Krankheit meiner Tochter zu Hause blieb, tat meine Chefin so, als gönne ich mir einen Urlaub und ließ mich das deutlich spüren. Zum Glück sprang meine Mutter öfter ein und kam extra nach Berlin, um die Kleine zu betreuen“.

Sie wechselte den Arbeitgeber. Wieder Büroorganisation und kein Ingenieursgehalt, und auch hier waren Beruf und Familie trotz 25-Stunden-Teilzeit kaum zu vereinbaren. „Es gab keine Flexibilität, kein Vertrauen, Teamarbeit wurde eher unterdrückt. Keiner wusste, was der andere macht und konnte folglich auch keine meiner Aufgaben übernehmen, wenn ich ausfiel.“ Hinzu kamen zehn Stunden Fahrtweg pro Woche.

Dann wechselte die Geschäftsführung und plötzlich war alles viel leichter. Sie fühlt sich nun wohl und arbeitet gern dort. „Das Beste ist die hohe Flexibilität, mein Chef ist glücklicherweise für so was offen. Er fördert echte Teamarbeit, jeder kann im Notfall Stunden und Aufgaben der anderen übernehmen. Das wird dann intern wieder ausgeglichen. Mein Chef vertraut darauf, dass gemacht wird, was gemacht werden muss. Wenn ich mit meiner Tochter zum Arzt muss, dann gehe ich eben eher los und bleibe dafür ein anderes Mal länger.“ Sie ist zu 80 Prozent zufrieden mit ihrem Job. Was noch besser werden könnte? „Es ist einfach nicht das, was mich interessiert. Ich würde gern etwas Anspruchsvolleres tun. Weniger Fahrtzeit wäre auch gut.“ Und natürlich sind 1.100 Euro Einkommen auch nicht das, was sie sich mal erträumt hatte. Aber das ist nicht die größte Herausforderung. „Das Schlimmste am Alleinerziehen ist, wenn man selbst richtig krank wird. Man muss ja trotzdem irgendwie das Kind versorgen, zur Kita oder Schule bringen und abholen, einkaufen. Das geht ohne ein gutes Netzwerk überhaupt nicht. Gleich danach kommen dann die ewigen Finanzsorgen. Und dann das Zeitmanagement, das wird besonders kritisch bei Krankheit oder wenn in der Arbeit gerade viel anliegt.“

Die Zeitkonflikte haben sich ihrer Einschätzung nach mit dem Alter ihrer Tochter entspannt. Der Zeitaufwand ist zwar der gleiche geblieben, aber sie ist nun viel flexibler. Das Mädchen besucht eine Ganztagsschule und ist inzwischen sehr selbständig, bleibt auch mal allein zu Hause. Das war vor wenigen Jahren noch gar nicht denkbar. Schwierig ist es nach wie vor, die Ferien abzudecken. Anna Fischer hat 26 Urlaubstage, also gut fünf Wochen. „Bei zehn Wochen Ferien geht das gar nicht. Aber meine Mutter nimmt sie meist für ein bis zwei Wochen“. Die Alleinerziehende hat Glück, denn sie wohnt mit befreundeten Familien in einem Haus, die sich gegenseitig unterstützen. „Ohne dem wäre es gar nicht gegangen.“ Und auch nicht, wenn ihre Eltern ihr nicht hin und wieder finanziell unter die Arme greifen würden. Bei den Finanzen hat sie das Gefühl, dass die Lage angespannter wird, je älter die Tochter wird. Die Ausgaben für ihre Tochter nahmen mit dem Alter deutlicher zu als das eigene Einkommen und die Unterhaltsleistungen durch den Vater: Kleidung, Kurse und Feriengestaltung, Taschengeld, Schulmaterialien, selbst die regelmäßigen Freundesbesuche zum Abendbrot schlagen stärker zu Buche als früher.

Ob sie es noch mal mit einer Partnerschaft versucht hat? Ja, vor drei Jahren war ein neuer Lebensgefährte bei ihr eingezogen. Sie rutschte dadurch gleich in die Steuerklasse eins. Dafür zahlte er ein Teil der Miete. An den Ausgaben für die Tochter oder an der Betreuung hat er sich nicht direkt beteiligt, er war auch viel unterwegs. „Es tat zwar wirklich gut, sich mit jemandem über Alltagssorgen austauschen zu können. Aber ich fand es auch extrem anstrengend. Ich fühlte mich zerrissen zwischen den Bedürfnissen meines neuen Partners und denen meiner Tochter.“ Es hat nur anderthalb Jahre funktioniert, dann war sie wieder allein mit ihrer Tochter. Als Unterbrechung ihres Alleinerziehend-Seins hat sie diese Phase rein von den Aufgaben her eher nicht empfunden. Finanziell ein bisschen.

*Name geändert.


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