Zunehmend rückt das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung in den Blickpunkt von Forschung und Politik. Statt sich länger auf nur eine Diversitätsdimension zu beschränken, geht es nunmehr verstärkt um das Zusammenspiel von Faktoren wie Migration, Religion, Bildung und Geschlecht. Das ist auch Ansatz dieser eindrucksvollen Studie, die im Ergebnis erschüttert. Bedingt durch die Ökonomisierung der Hochschulen und die Verschärfung des Wettbewerbs haben sich die strukturellen Mechanismen sozialer und geschlechtsspezifischer Ungleichheit weiter verschärft. So haben Frauen mit Migrationshintergrund, die zudem aus einem bildungsfernen Elternhaus kommen, die geringsten Aufstiegschancen. Am durchlässigsten ist das System für Männer aus akademisch geprägten Familien, die seit Generationen in Deutschland leben.
„Die systematischen Lücken in der Grundfinanzierung von Forschung und Lehre korrespondieren mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des akademischen Personals und hier insbesondere des befristet beschäftigten Mittelbaus. Unter den Bedingungen des verschärften Wettbewerbs um knappe Stellen und Fördermittel arbeiten Promovierende und Postdocs immer mehr, während sie zugleich immer weniger Sicherheiten für ihre Lebensplanung und keine angemessene Entlohnung erhalten.“ Wie dieser alarmierende Gesamtbefund zu erklären und zu verorten ist, ist die zentrale Fragestellung dieses Sammelbandes.
In ihren Analysen setzen die Autor*innen erstmalig die verschiedenen Diskussionsstränge zu Ökonomisierung und Prekarisierung in der Wissenschaft mit jenen zu Geschlechtergerechtigkeit und sozialer Ungleichheit in Bezug. Die Beiträge des Sammelbandes analysieren und illustrieren das Fortwirken struktureller gruppenbezogener Benachteiligung. Außerdem setzen die Autor*innen die aktuellen Hochschulentwicklungen in einen engen Zusammenhang mit der sozialstaatlichen Transformation.
Die Analysen belegen aufs Neue die negativen Konsequenzen, die von der fortschreitenden Ökonomisierung von Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen auf die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland ausgehen. Dabei arbeiten die Autor*innen zunächst heraus, dass die Marginialisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse eines Milieus, das sich durch einen formal höheren Bildungsabschluss auszeichnet, als typisches Merkmal für die postfordistische Gesellschaften anzusehen ist.
Als omnipräsentes Bedrohungsszenarium müsse es als gesamtgesellschaftlich relevantes Phänomen der Gegenwart verstanden und diskutiert werden. Lorey etwa sieht „die Verallgemeinerung der Prekarität über die sozialen Klassen hinweg als Ergebnis polit-ökonomischer Rahmenbedingungen und gegenwärtiger sozialer Kräfteverhältnisse“.
Durch den so bedingten Dreiklang aus Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, sozialstaatlicher Ent-Garantierung, ausreichender sozialer Absicherung und dem Gefühl der Unsicherheit heraus, entfalten, so die weiteren Ausführungen dieses Sammelbandes, die tradierten Ungleichheit strukturierenden Mechanismen im Wissenschaftsbetrieb weiterhin ihre Wirkung. Mitunter tun sie dies sogar in zugespitztem Maße. Denn der wissenschaftliche Karriereweg erweist sich bekanntlich als äußerst selektiv und der Zugang zur Professur gleicht einem Nadelöhr. Insofern können die politischen, institutionellen und kulturellen Praktiken der sogenannten Bestenauslese besonders große Wirksamkeit entfalten, je ungleicher das Verhältnis zwischen wissenschaftlichen Nachwuchskräften und zu besetzenden Professuren etwa im Zuge der Drittmittelfinanzierung der Hochschulen wird.
Folgerichtig finden die Autorinnen die allgemeinen Ungleichheitsmerkmale wie Geschlecht, soziale und ethnische Herkunft, Alter, Behinderung und sexuelle Orientierung im Wissenschaftsbetrieb verstärkt wirksam. So errechnen sie die besten Karrierechancen für weiße Männer mit deutscher Staatszugehörigkeit und hoher und gehobener Klassenherkunft. Von den Frauen, denen ein Aufstieg innerhalb der Wissenschaft gelingt, haben die besten Chancen diejenigen, die aus bildungsbürgerlichen Klassen kommen, insbesondere dann, wenn beide Elternteile einen akademischen Abschluss besitzen. Weit abgeschlagen sind hingegen Frauen aus hochschulfernen Elternhäusern. Die schlechtesten Chancen haben Frauen, die zudem aus migrantischen Milieus kommen. Männer aus hochschulfernen Elternhäusern können diesen Karrierenachteil durch ihre Geschlechtszugehörigkeit leichter kompensieren.
Die Autorinnen vermuten eine weitere Verstärkung dieser Ungleichheit stiftenden Mechanismen, wenn sich Bildung und Wissenschaft weiter ökonomisieren. Für die weitere Gleichstellungspolitik fordern sie eine umfassendere Berücksichtigung sozialer Ungleichheitsmechanismen in der Gleichstellungsarbeit. Sie problematisieren die Verschiebung von einer eher gerechtigkeitsorientierten zu einer nutzenorientierten Gleichstellungspolitik, die unter den Vorzeichen des Diversity Managements immer mehr auf Verbesserung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation abzielt.
Für die Leser*innen besonders aufschlussreich ist, dass der Sammelband selbst Ergebnis eines Forschungsprojektes ist, die Autor*innen also selbst Betroffene sind und mithin zu Ethnograf*innen und Autoethnograf*innen des wissenschaftlichen Feldes wurden. Positionierung und Situierung als Betroffene wurden im Forschungssetting also zu einem inhärenten Teil des Erkenntnisprozesses. Mit seinem Ansatz der Verzahnung verschiedener Erkenntnisinteressen ist der vorliegende Sammelband als wichtiges Buch weit über den Wissenschaftsbereich hinaus zu empfehlen, zumal Befristung und Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse von Nachwuchskräften auch außerhalb der Wissenschaft an Bedeutung gewinnen.
Laufenberg, Mike u.a. (Hrsg.) (2018): Prekäre Gleichstellung. Geschlechtergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.