Viele Beschäftigte arbeiten heute schon länger als gesund ist. Sie arbeiten abends, nachts, samstags, sonntags, in Schicht oder auf Abruf. Regeneration kommt oft zu kurz. Erwartungen ständiger Erreichbarkeit und Flexiblität gewinnen an Bedeutung. Arbeit und Familie zu vereinbaren ist dauerhafte Herausforderung. Humane Arbeitszeitgestaltung in der digitalisierten Arbeitswelt sicherzustellen, ist Gebot der Stunde. So lautet das einleitende Credo von Lothar Schröder.
Schröder ist Mitglied des Bundesvorstands von ver.di und Herausgeber dieses Sammelbandes. Es verbindet die Darstellung gewerkschaftlicher Sichtweisen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Best Practice Beispiele innovativer Arbeitszeitmodelle.
Der vorliegende Sammelband fokussiert auf den Aspekt der Gesundheit und geht auf die Zeitkonflikte ein, die sich für viele Beschäftigte bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellen. Ein Teil der Beiträge beleuchtet Möglichkeiten künftiger Zeitsouveränität und Arbeitszeitverkürzung aus gewerkschaftlicher und wissenschaftlicher Perspektive. Besonders kritisch bewertet werden Forderungen, die auf Aufweichung der gesetzlich definierten Obergrenze einer täglichen Arbeitszeit von maximal 10 Stunden oder die Verringerung von Ruhezeiten zielen.
Insofern geht es der gewerkschaftlichen Arbeitszeitpolitik vor allem darum, arbeitgeberseitigen Flexibilisierungsanforderungen Grenzen zu setzen und gleichzeitig den Souveränitätswünschen der Beschäftigten Spielräume zu verschaffen. Die Beiträge geben Einblick in die Postionen von ver.di, IG Metall, IG BAU und NGG. Darüber hinaus werden Modelle eines alters- und alternsgerechten Arbeitens, flexibler Übergänge in die Rente und belastungsarme Schichtmodelle vorgestellt.
Mehrere Beiträge befassen sich den Arbeitszeittrends „Entstandardisierung“, „Ausdifferenzierung“ und „Flexibilisierung“. Das eine Arbeitszeitmodell gibt es nicht mehr. Vielfalt dominiert bereits jetzt, so die statistischen Befunde, die Arbeitswelt. Dem setzt Lehndorff in seinem Beitrag die Forderung einer kurzen Vollzeit für alle entgegen. Rothe u.a. gehen auf die engen Zusammenhänge zwischen Arbeitszeit und Gesundheit ein. Sie fassen die aktuellen arbeitszeitwissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen und arbeiten Chancen wie gesundheitliche Risiken flexibler Arbeitszeitgestaltung heraus.
Schichtarbeit und mobiles Arbeiten werden als besonders gefährdungsanfällig beschrieben, Formen der Entgrenzung von Leben und Arbeiten dargestellt. Besonders kritisch beurteilen die Autor*innen dieses Sammelbandes bestehende Modernisierungslücken im Arbeitsschutzgesetz. Dass Entgrenzung von Arbeitszeit und die damit verbundenen Stress- und Gesundheitsrisiken meist auch mit zu knapper Personalbemessung zusammenhängen, thematisiert Meine und fordert hierzu entsprechende tarifliche Regelungen. Diese werden in einem weiteren Beitrag beispielhaft für die Charité erläutert. Dort sollen Tarifregelungen überlangen Arbeitszeiten entgegenwirken und eine ausreichende, demografiefeste Personalbemessung sichern.
Ein umfangreicher Datenanhang liefert zahlreiche Grafiken und Tabellen zu betrieblichen Arbeitszeitrealitäten und Arbeitszeitwünschen der Beschäftigten. Das Datenmaterial entstammt im Wesentlichen der Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitszeitschutz und Arbeitsmedizin.
Das Buch empfiehlt sich für alle, die sich in der Diskussion um Arbeitszeit in der digitalen Arbeitswelt auch für die gewerkschaftliche Perspektive interessieren und Impulse für eine beschäftigtenorientierte Arbeitszeitgestaltung suchen, die auch der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu Gute kommen kann.
Gute Arbeit Ausgabe 2017. Streit um Zeit – Arbeitszeit und Gesundheit: Bund-Verlag.