Siebenmal hat sie Kaiser Wilhelm II. porträtiert. Sie malte Generalfeldmarschall von Moltke und viele andere. 1902 war sie erste Jurorin der Großen Berliner Kunstausstellung. Nach ihrem Umzug nach New York 1908 porträtierte sie die Hautevolee Amerikas, unter ihnen weitere herausragende Persönlichkeiten wie Theodore Roosevelt oder Andrew Carnagy. (54)
Die Rede ist von der gebürtigen Ungarin Vilma Parlaghy (1863-1923), Malerfürstin ihrer Zeit, beliebter Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens, begabt, produktiv und mehrfach ausgezeichnet. 1895 präsentierte sie in ihrem Berlin Salon über 100 eigene Werke. (152f.) Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs und dem Niedergang der Portraitmalerei wurde es schnell still um sie. Nach ihrem Tod 1923 geriet sie vollends in Vergessenheit. Heute kennt man zwar die Porträts Wilhelms II., nicht jedoch die Künstlerin. Dieses Schicksal teilt sie mit so gut wie allen Künstlerinnen vor 1919. Sie sichtbar zu machen, hat sich die Alte Nationalgalerie in Berlin mit der Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919“ zum Ziel gemacht. Der zugehörige Ausstellungskatalog, den wir Ihnen als ersten unserer Buchtipps ans Herz legen, stellt insgesamt 43 dieser in Vergessenheit geratenen Künstlerinnen detailreich und interessant vor.
Die Beiträge skizzieren zudem wunderbar bebildert die Hintergründe dieses Vergessens. Sie beschreiben den Ausschluss der Frauen von der Möglichkeit zur akademischen Kunstausbildung bis 1904, deren widersetzliche Wege, Tätigkeitsfelder und künstlerische Selbstbehauptung. Dabei gibt es viel Überraschendes zu erfahren, etwa, dass zwischen 1893 und 1918 über 920 Künstlerinnen an Berliner Kunstausstellungen teilgenommen haben. (S. 12) So war es Frauen keineswegs verwehrt, sich künstlerisch zu betätigen. Auch waren sie speziell als Porträtkünstlerinnen sehr geschätzt und engagiert. Wollten sie die Kunst aber zum Beruf machen, mussten sie gegen vielfältige Widerstände und Hindernisse bestehen. (113ff.)
Nachzulesen ist, wie die Frauen den Weg über außerakademische künstlerische Vereinigungen im In- und Ausland und seit den 1850er Jahren zusehends in eigenen Künstlerinnenvereinen nahmen (115ff., S. 49 ff.) und dass sie sich mit dem Status der „Dilettantinnen“ zufrieden geben mussten (86), sie in der Regel für Ihre Ausbildung ferner deutlich höhere Kosten zu stemmen hatten als ihre Kollegen und sich ihre Aufträge meist eher durch Empfehlung und Vernetzung im künstlerisch bürgerlichen Milieu generierten als über Verkaufsschauen und Kunstmarkt.
Mit dem Fehlen der akademischen Ausbildung blieben die offizielle Ankerkennung und Würdigung der Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt gering. (90) Äußerte sich die Kunstkritik positiv über die eine oder andere Künstlerin, so bescheinigte man ihr vor allem Männlichkeit in Technik und Ausdruck. Vilma Parlaghy beispielsweise galt ihrem Kunstkritiker als „ein berufener Bildnismaler und nur dem Geschlechte nach ein weiblicher“. (54)
Ihre Werke gezielt zu sammeln und für die Nachwelt zu erhalten, hielt, so ist dem Katalog weiter zu entnehmen, kaum ein Museum für erstrebenswert oder sinnvoll. Auch blieben posthume Gedächtnisausstellungen für Künstlerinnen im Gesamtzeitraum die Ausnahme. (55) Der Großteil der Werke ist verschollen. (64f.) Die Alte Nationalgalerie hat nun erstmals ausnahmslos alle Künstlerinnen ausgestellt, deren Werke vor 1919 entstanden sind und in die Nationalgalerie durch Zufall oder Schenkung gelangten. (9) Es sind dies genau 60 Werke von 33 Malerinnen und zehn Bildhauerinnen. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich aber genauso wie die Lektüre des Katalogs: 60 Werke, die über sich hinausweisen und ein Stück vergessener Frauengeschichte repräsentieren.
Deseyve, Yvette und Ralph Gleis (Hrsg.) (2019): Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919. Berlin: Dietrich Reimer Verlag GmbH.
Die Ausstellung läuft noch bis 8. März 2020: https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/kampf-um-sichtbarkeit.html