Wird die gläserne Decke in einer Arbeitswelt 4.0 verschwinden? Wie werden sich die Karriere- und Erwerbsbedingungen für Frauen verändern? Wie müssen die Weichenstellungen für die Gestaltung von Arbeit 4.0 getroffen werden, damit Geschlechterverhältnisse, Machtverhältnisse, Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilung neu verhandelt werden können?
Diese Fragen werden in dem Sammelband von Dagmar Preißing und ihren elf Kolleginnen diskutiert und erforscht. Dagmar Preißing selbst setzt sich damit auseinander, wie die sich ändernden Organisationsstrukturen und Führungsmodelle auch die Karrierechancen von Frauen in der Arbeitswelt 4.0 verändern. Die Ergebnisse sind überaus spannend – und sehr ernüchternd:
Weniger Frauen im Topmanagement
So sieht Preißing für die Zukunft eine weitere Ausdifferenzierung der Führungsebenen in ein mittleres und ein Top-Management mit stark unterschiedlichen Anforderungsprofilen auf uns zukommen, in dessen Folge sich die Karrierechancen für Frauen im mittleren Management verbessern, im Top-Management jedoch weiter verschlechtern werden.
Für die Top-Manager*innen werden die Fach- und Steuerungsanforderungen an Umfang und Komplexität weiter zunehmen, die Verantwortung weiter wachsen. Damit verbunden sieht Preißig auch die Anforderungen an zeitliche Flexibilität, Mobilität, Erreichbarkeit, Zeiteinsatz und Arbeitsdichte weiter steigen, die Möglichkeiten einer an Work-Life-Balance orientierten Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung weiter sinken. An Kompetenzanforderungen sieht Preißing hohe Change-Management-Kompetenzen, Abstraktionsfähigkeit, Innovationsfreude, Wissen um digitale Technologien, Technologieaffinität weiter in der Fokus rücken. In beiden Entwicklungen erkennt Preißig Tendenzen, die es Frauen noch schwerer machen könnten, in Top-Managementpositionen vorzurücken. Die gläserne Decke sieht sie noch dicker, die Hürden, in den eng vernetzten Kreis der überwiegend männlichen Top-Manger*innen zu kommen immer höher werden.
Zum einen mache die mangelnde Möglichkeit, Beruf und Familie/Leben in eine ausgewogene Balance zu bringen, die Top-Management-Stellen für Frauen gleichermaßen unattraktiver und unerreichbarer. Zum anderen werden just die Kompetenzen in den Vordergrund gestellt, die seit jeher eher als eher männliche Kompetenzen assoziiert sind und nach wie vor eher von Männern als von Frauen angestrebt und erworben werden. In diesem Kontext beschreibt Preißing das häufig feststellbare fehlende Interesse von Frauen an der Digitalisierung als ein Hindernis für einen Aufstieg ins Top-Management. In der Gemengelage, in der auf Basis von tradierten, weiter im Unbewussten wirksamen Stereotypen erneut geschlechtsspezifisch auf neue Kompetenzanforderungen gerade im Top-Management reagiert wird, besteht die Gefahr, dass sich die überlieferten Ungleichheiten weiter verschärfen.
Mehr Frauen im mittleren Management
Deutlich besser sieht Preißing die Aufstiegschancen von Frauen ins mittlere Management. Hier komme die Veränderung der Arbeitsorganisation sowie der Anforderungen an das Führungsverhalten Frauen eher zugute. Denn hier gewinnen soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie die Förderung von Teamarbeit und ein Führen auf Augenhöhe an Bedeutung, Kompetenzen also, die nach wie vor stärker mit Frauen assoziiert und auch präferiert werden. Darüber hinaus hält Preißing die Chance für groß, dass Maßnahmen einer gleichstellungsorientierten Personalentwicklung, die in der Großzahl der Unternehmen bereits eingeleitet worden sind, gerade im unteren und mittleren Management greifen und die wachsende Akzeptanz von shared leadership, Führung auf Zeit, Teilzeit für Führungskräfte, Flexibilisierung von Zeit und Ort gerade Frauen neue Optionen für die Übernahme von Führungsverantwortung eröffnen.
Maßnahmen zur Förderung von Frauen auch in den obersten Führungsebenen
Bewusstseinsbildung über die auf uns zukommenden Herausforderungen zu betreiben, hält Preißig für die wichtigste Maßnahme, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Auch hält sie es für zentral, Frauen über die Existenz von Männerbünden und deren Strukturen, Funktionen und Strategien im Top-Management aufzuklären, um entsprechend zu reagieren.
Flankierend müsste dringend weiter daran gearbeitet werden, die homosozialen Rekrutierungsmuster zu überwinden und die Personalprozesse weiter zu öffnen und zu professionalisieren. Eine Möglichkeit wäre die Bildung größerer Pools zur Besetzung wichtiger Positionen sowie die Entwicklung transparenter und genderorientierter Kriterien für die Auswahl.
Schließlich empfiehlt Preißing, beide Geschlechter in den Prozess zur Ausgestaltung der neuen Arbeitswelt gezielt mit einzubeziehen und Frauen zu unterstützen, den Weg in die engen obersten Führungsnetzwerke zu finden.
Leseempfehlung
Der Sammelband adressiert Verantwortliche in Unternehmen, Politiker*innen, Gleichstellungsbeauftragte, Wissenschaftler*innen und Studierende. Unsere Einschätzung: ein absolut wichtiges, gut geschriebenes, verständliches Buch, das zum Mit- und Nachdenken inspiriert. Unbedingt kaufen und lesen!
Preißing, Dagmar (Hrsg.) (2019): Frauen in der Arbeitswelt 4.0. Chancen und Risiken für die Erwerbstätigkeit. Oldenbourg (de Gryter Verlag)