Deutschland ist heute nach Schweden das Land, in dem die Einstellung der Bevölkerung zur Aufteilung der Elternzeit zwischen Mutter und Vater am egalitärsten ist. Die Autor*innen der OECD-Vergleichsstudie aus dem Jahr 2016 attestieren Deutschland große Fortschritte bei der Reform von Maßnahmen zur Unterstützung erwerbstätiger Eltern und zur Förderung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung. Sie sehen, dass zusehends mehr Menschen Deutschland als familienfreundlich betrachten. Gleichzeitig aber mahnt der Bericht auch an, dass die Geburtenziffer in Deutschland nach wie vor unter dem OECD-Durchschnitt liegt und die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern Familie und Beruf konfliktär erleben, in Deutschland höher ist als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Lange Arbeitszeiten erschweren partnerschaftliche Arbeitsteilung
Der Bericht kritisiert für Deutschland die langen Arbeitszeiten, die nach wie vor unzureichenden Betreuungsangebote für kleine Kinder und außerhalb der Schulzeit sowie die nach der Geburt häufig einsetzende Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Normalarbeitszeiten von 38 und mehr Wochenstunden und mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten befördern ungleiche Arbeitsteilungen und drängen Frauen vielfach in die Teilzeittätigkeit. Das Konzept der vollzeitnahen Teilzeit für beide Elternteile, das unter dem Schlagwort „Familienarbeitszeit“ eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Erwerb und Familie unterstützen soll, erweist sich als im europäischen Vergleich singulär. Es verweist auf die strukturelle Dimension des Problems.
OECD fordert weitere Anstrengungen von Politik und Wirtschaft
Der OECD-Bericht soll die Bundesregierung bei der Förderung einer partnerschaftlichen Aufteilung in Beruf und Familie unterstützen. Er enthält daher folgende Forderungen:
- Weitere Maßnahmen, mittels derer Väter ermutigt und in die Lage versetzt werden, Elternzeit in Anspruch zu nehmen
- Weitere familienpolitische Förderinstrumente entwickeln, die Eltern eine vollzeitnahe Reduzierung ihrer Arbeitszeit ermöglichen
- Anspruch auf variable Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit definieren, damit Eltern flexibler auf die sich verändernden familiären Rahmenbedingungen reagieren können
- Betreuungsangebote für Klein- und Schulkinder weiter ausbauen und zugänglich machen
- Steuer- und Transfersysteme so anpassen, dass sie Anreize für Zweitverdiener*innen in Paarfamilien erhöhen und so zur partnerschaftlichen Arbeitsteilung motivieren
- Sozialpartner*innen und anderen Akteur*innen für die Weiterentwicklung eines familienfreundlichen Personalmanagements und die weitere Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung gewinnen
- Bewusstseinswandel in Richtung partnerschaftliche Arbeitsteilung weiter befördern.
OECD kritisiert geringe Erwerbsbeteiligung von Müttern
Kapitel 1 der Studie belegt die positiven Effekte einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung auf das Wohlergehen der Familie, die kindliche Entwicklung, die Beschäftigungschancen von Frauen, die Arbeitszeiten der Väter und die Steigerung der Geburtenrate. Kapitel 2 skizziert die demografischen und familienstrukturellen Entwicklungen in Deutschland und diskutiert diese im internationalen Vergleich. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Erwerbsbeteiligung von Müttern. Hierbei kritisiert die Studie insbesondere, dass Frauen trotz des hohen Ausbildungsstandes und der wachsenden Erwerbsbeteiligung nach wie vor weniger verdienen als Männer und sehr oft teilzeitbeschäftigt sind. Laut Bericht mündet die ungleiche Arbeitsteilung zwischen den Eltern heute aber in einer steigenden Unzufriedenheit über Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So findet laut Studie jede dritte beschäftigte Person das Familienleben durch den Beruf beeinträchtigt.
OECD unterstützt Konzept der Familienarbeitszeit
Kapitel 3 nimmt die Politikmaßnahmen zur Förderung der Partnerschaftlichkeit in Deutschland in den Blick und unterstützt die familienpolitische Forderung nach Einführung einer Familienarbeitszeit. Gleichzeitig unterstreicht der Bericht aber auch die Arbeitsmarktinstitutionen, die kulturellen Gepflogenheiten und den Zugang zu flexiblen Arbeitsmodellen als wesentliche Faktoren bei der weiteren Stärkung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung.
Arbeitszeitgefälle zwischen Müttern und Vätern in Deutschland besonders hoch
Kapitel 4 befasst sich mit den Geschlechterdifferenzen bei der Erwerbsarbeit und fragt, warum Mütter Teilzeit oder Vollzeit arbeiten. Einleitend schildert der Bericht die bestehenden Unterschiede in Sachen Arbeitsteilung im OECD-Vergleich. Demnach arbeitet eine teilzeiterwerbstätige und in einer Partnerschaft lebende Mutter in Deutschland mit durchschnittlich 20 Stunden rund 10 Stunden weniger als eine vergleichbare Mutter in Skandinavien oder in Frankreich. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der deutschen Väter über jenen der Väter in diesen Vergleichsländern. So stellt sich das Arbeitszeitgefälle zwischen in einer Partnerschaft lebenden Frauen und Männern in Deutschland besonders ausgeprägt dar.
Hohe Karriereorientierung fördert Vollzeittätigkeit von Müttern
Das in Deutschland dominierende Vollzeit-/Teilzeitmodell erklären die Autor*innen vor allem mit den in Deutschland hohen Normalarbeitszeiten, den ungleichen Einkommensniveaus zwischen Männern und Frauen sowie unzureichender infrastruktureller und familienpolitischer Unterstützung. Insgesamt jedoch stellen die Autor*innen auch fest, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Doppel-Vollzeit-Verdienst-Modell mit dem Bildungsniveau und den Karriereabsichten von Frauen steigt.
Geschlechterbias in der Übernahme unbezahlter Arbeit sinkt
Kapitel 5 befasst sich mit der Aufteilung der unbezahlten Arbeit zwischen den Eltern und zeigt auf, dass diese umso paritätischer aufgeteilt wird, je später die Eltern geboren wurden und je höher die Erwerbsbeteiligung der Mütter ist bzw. im Familienverlauf wird. Gleichwohl liegt auch dann noch der größere Teil der Betreuungs- und Pflegeaufgaben bei den Müttern. Der Geschlechterbias wiederholt sich bei der Pflege und Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger. In einem abschließenden Kapitel weist der Bericht nach, dass sich die Verringerung der Konflikte zwischen Familie und Beruf positiv auf die Geburtenrate auswirkt. Die Studie unternimmt hierfür einen Vergleich der deutschen mit den französischen Verhältnissen.
OECD (Hrsg.) (2016): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf. Paris. OECD Publishing.