Familienpolitik im Kontext des Neo-Institutionalismus

Anlass für die vorliegende Untersuchung ist – so erläutert die Autorin einleitend –  die „steigende Importanz der Familienpolitik im institutionellen Kontext politischer Systeme in Europa“ sowie die Frage, was Deutschland von seinen europäischen Nachbarländern hinsichtlich seiner institutionellen Strukturen und unterschiedlichen policy-Orientierungen im Bereich der Familienpolitik lernen kann. Für ihren Vergleich wählte die Autorin Schweden, Frankreich und Deutschland aus.

Ausgehend von den feststellbaren Unterschieden hinsichtlich familienpolitischer Leitbilder und Maßnahmen, den unterschiedlichen Rollenverständnissen, unterschiedlichen familienpolitischen Erfolgen und unterschiedlichen Ausprägungen von Geschlechtergerechtigkeit wirft die Autorin die Frage auf, inwiefern familienpolitische Leitbilder die Herausbildung des gesellschaftlichen Rollenverständnisses und idealtypischer Vorstellungen einer gelingenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie beeinflussten bzw. welche Bedeutung das dominierende Rollen- und Vereinbarkeitsverständnis auf die Umsetzung und Annahme familienpolitischer Maßnahmen hat.

Die Autorin kommt zu folgenden Ergebnissen:

Die neuen Frauenbewegungen sind in allen drei Ländern als familienpolitisch relevante Akteurinnen zu bewerten. Ebenso lässt sich in allen drei Ländern ein fortschreitender Trend zur Individualisierung erkennen.

Wesentlicher Unterschied zwischen den drei Ländern liegt vor allem in der unterschiedlich stark ausgeprägten Bereitschaft, sich als Staat in das Feld der Familie einzumischen. Im schwedischen und französischen Wohlfahrtsstaat ist diesbezüglich eine hohe Toleranz zu erkennen. Der Staat ist in beiden Ländern familienpolitischer Hauptakteur. Im konservativ-korporalistischen Deutschland hingegen wird das Eingreifen des Staates in die Familie kritisch bewertet. Familie gilt hier als privates Feld. Auch gibt es zumindest im Westen Deutschlands in Bezug auf die außerhäusliche Kinderbetreuung nach wie vor Vorbehalte. Aus diesen Gründen ist die deutsche Familienpolitik stark monetär ausgerichtet. Der Staat übernimmt finanzielle Leistungen. Die Lösung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird als vorrangige Aufgabe der Familien und Arbeitgeber gesehen. In Frankreich gewährleistet der Staat hingegen den Großteil der außerhäuslichen Kinderbetreuung und ist sowohl bei den Betreuungseinrichtungen als auch bei den staatlichen Transferleistungen dem Prinzip der Wahlfreiheit verpflichtet. Die staatlichen Leistungen sind auf das Vorhandensein von Kindern ausgerichtet.

Schwedens Familienpolitik und Gesellschaft ist von Universalismus und Gleichberechtigung geprägt. Die schwedische Familienpolitik war früh am egalitären Rollenmodell ausgerichtet. Leitbild ist das Doppelversorgermodell und impliziert, dass Frauen und Männer innerhalb des Haushalts und des Erwerbslebens gleichermaßen aktiv sind.

Im Vergleich der Länder fest die Autorin fest, dass der Einfluss der Kinderbetreuungssituation auf die Entscheidung für oder gegen Kinder deutlich geringer sei, als dies in der öffentlichen Diskussion in Deutschland suggeriert werde. Entscheidender scheinen in der Tat die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie das gesellschaftliche Rollenverständnis zu sein. Die Autorin geht so weit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Indikator für die Geburtenrate zu definieren.

Insofern sei auch zu erklären, warum die am schwedischen Vorbild ausgerichtete Einführung von Vätermonaten in Deutschland nicht zu einem Anstieg der Geburtenrate beitrage. Der gesellschaftliche Wandel hin zu einem egalitären Familien- und Vereinbarkeitsmodell vollzieht sich, so erläutert Rötter, eben nur zögerlich. Hierzu zählt im Vergleich zu Frankreich und Schweden der nach wie vor hohe Stellenwert der Ehe – und zwar sowohl innerhalb der Bevölkerung als auch in der Ausrichtung der familienpolitischen Leistungen an der Ehe. Nach wie vor stellt der deutsche Staat zahlreiche Anreize für eine Hausfrauenehe bzw. ein modernisiertes Modell der Haupternährerehe, in dem die Frauen in der Regel lediglich zuverdienen.

Rötter kommt zu dem Schluss, dass in Deutschland die Geburtenrate erst dann steigen wird, wenn Frauen vermehrt Vollzeit tätig sind, Ehe und Familie entinstitutionalisiert werden und sich die Familienpolitik am Vorhandensein von Kindern und nicht am Bestehen einer Ehe ausrichtet. Darüber hinaus fordert Rötter, Gender-Mainstreaming auf die Bereiche Bildung und Arbeitsmarktpolitik auszudehnen, wie dies in Frankreich und Schweden bereits passiert ist.

Rötter, Yvonnne: Familienpolitik im Kontext des Neo-Institutionalismus. Deutschland, Schweden und Frankreich aus der Gender-Perspektive, Hamburg 2014.


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