In dem Diskussionsbeitrag “Ein Jahr Familienpflegezeitgesetz – Welche Erfahrungen gibt es und wie kann es weitergehen?“ von Simone Ehm & Jürgen P. Rinderspacher wird das Familienpflegezeitgesetz (FPfzG), das seit Januar 2012 in Kraft ist, kritisch betrachtet. Das FPfzG setzt sich als Ziel, die Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit zu verbessern, indem Berufstätige ihre wöchentliche Arbeitszeit zwei Jahre lang reduzieren können, um Angehörige zu pflegen. Die Autoren kritisieren insbesondere, dass das Gesetz wenig praxistauglich ist und an den Lebensrealitäten pflegender Angehöriger vorbeigeht: Teilzeitbeschäftige und Geringverdiener können sich die gesetzesimmanente Reduzierung ihrer Einkommen nicht leisten. Die Pflegedauer von zwei Jahren ist unrealistisch kurz kalkuliert. Die Umsetzung des FPfzG ist für Unternehmen nicht verpflichtend. Darüber hinaus werden Freiberufler vom FPfzG gar nicht erst berücksichtigt.
Die Grundvoraussetzung für eine angemessene Unterstützung der Pflegenden besteht nach Meinung der Autoren darin, dass Pflegetätigkeiten anderen Arbeiten gleichgestellt werden müssen. Dies setzt einen grundlegenden Perspektivwechsel voraus, denn ein Pflegefall ist nicht länger Privatsache, sondern ein öffentliches Ereignis. Außerdem muss das FPfzG den Pflegenden eine verbesserte finanzielle Absicherung gewährleisten und ebenfalls ein Schulungs- und Beratungsangebot für Pflegende enthalten. Der Staat hat die Aufgabe, die Unternehmen mit entsprechender Regelung in die Pflicht zu nehmen, Maßnahmen verbindlich umzusetzen. Bürger, die nicht von Pflegeaufgaben betroffen sind, sollen durch ideelle und materielle Anreize ermutigt werden, im Sinne einer „private-public-partnership“ Verantwortung zu übernehmen.
Der Ansatz der „Pflegesensiblen Arbeitszeiten“ wird von den Autoren als einen besonders konstruktiven Vorschlag gewürdigt. Dieser konkretisiert einerseits die Pflegesituation in drei Phasen und berücksichtigt somit den jeweiligen Pflegeaufwand. Andererseits sieht er vor, die Arbeitszeit in eine pflegegerechte Vollzeit umzuwandeln. Diese umfasst eine Vollzeittätigkeit mit abgesenkter Arbeitszeitdauer um bis zu zehn Stunden wöchentlich für die Dauer der Pflege. Der finanzielle Ausgleich soll durch eine Mischfinanzierung von Arbeitgeber, Sozialkassen und Staat erfolgen.
Abschließend merken die Autoren an, dass die Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Anerkennung von Pflege in Gesellschaft und Unternehmen verstärkt werden müssen, damit Pflegende ideelle und materielle Anerkennung erhalten. Darüber hinaus ist eine betroffengerechte Novellierung des FPfzG erforderlich, die die herausgearbeiteten Kritikpunkte bereinigt.
Ehm, Simone & Rinderspacher, Jürgen P. (2013): Ein Jahr Familienpflegezeitgesetz – Welche Erfahrungen gibt es und wie kann es weitergehen?, in: feministische studien.Sorgeverhältnisse, Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2013.