Das Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetzt – FPfZG) wurde am 6.12.2011 vom Bundestag beschlossen und trat am 1.1. 2012 in Kraft.
Das Gesetz sieht vor, dass Beschäftigte für maximal zwei Jahre ihre Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduzieren können. Das Gehalt wird in diesem Zeitraum um die Hälfte des reduzierten Arbeitsentgelts aufgestockt. Nach Ende der Pflegezeit wird derselbe Betrag solange weitergezahlt bis der Gehaltsvorschuss, der während der Pflegezeit gewährt wurde, wieder ausgeglichen ist. Ein Beispiel: Wer die Arbeitszeit um die Hälfte reduziert, um sich der Pflege von Angehörigen zu widmen, bezieht 75 Prozent des Bruttogehaltes. Danach gibt es für die Dauer der in Anspruch genommenen Pflegezeit trotz Vollzeitarbeit nur 75 Prozent des Gehalts. Die Pflegezeiten werden in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, d.h. die Beitragszahlungen zur Sozialversicherung laufen während der Familienpflegezeit weiter. Zudem besteht während der Familienpflegezeit ein besonderer Kündigungsschutz.[1]
Arbeitgeber haben die Möglichkeit, beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben für die Zeit der Arbeitszeitreduzierung ein in monatlichen Raten zu zahlendes zinsloses Darlehen im Umfang des Aufstockungsbetrags in Anspruch zu nehmen. Das gewährte Darlehen zahlt der Arbeitgeber in der Nachpflegephase zurück. Den Unternehmen entstehen bei der Gehaltsaufstockung keine Kosten; ihre Liquidität bleibt erhalten.
Der oder die Mitarbeiter/in ist verpflichtet, ergänzend eine sogenannte Familienpflegezeit-versicherung abzuschließen. Darin verpflichtet sich der Versicherer, im Falle des Todes oder der Berufsunfähigkeit der/des Beschäftigten eine Leistung in der Höhe zu erbringen, in der das Wertguthaben infolge der Familienpflegezeit noch nicht ausgeglichen ist. Das BAFzA bietet pflegenden Beschäftigten hierfür in Kooperation mit der Versicherungsgesellschaft BNP Paribas eine Versicherung zu gesonderten Konditionen an.
Anders als auf die bisherige Pflegezeit gibt es auf die neue Familienpflegezeit keinen Rechtsanspruch. Seine Umsetzung ist eine freiwillige und individuelle Vereinbarung zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Im ersten Entwurf zum Familienpflegezeitgesetzt hat die Familienministerin den Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit noch gefordert. Dieser stieß jedoch beim Koalitionspartner FDP und in Wirtschaftskreisen auf erhebliche Widerstände. Er wurde in der Folge zu einer freiwilligen Vereinbarung der Arbeitgeber abgewandelt.
Anträge für die Familienpflegezeit können seit dem 1. Januar 2012 gestellt werden.
Stand der Umsetzung des Familienpflegezeitgesetzes (Juni 2012)
Sechs Monate nach Einführung des Gesetzes sind keine offiziellen Angaben darüber erhältlich, wie viele Beschäftige das Angebot der Familienpflegezeit in den ersten Monaten wahrgenommen haben bzw. wie viele Unternehmen die Familienpflegezeit anbieten. Allerdings haben unsere Recherchen den Eindruck hinterlassen, dass die neuen gesetzlichen Möglichkeiten noch wenig positive Resonanz finden.
Beim deutschen Mittelstand herrscht insgesamt eher Skepsis. Laut Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) sei die „Zurückhaltung nicht verwunderlich, da die gesetzliche Regelung an der betrieblichen Wirklichkeit im Mittelstand vorbeigehe“. Vertretung für die Phase der Arbeitszeitreduzierung sei nur schwer zu finden. In der Folge müssten Tätigkeiten vorübergehend entweder ganz wegfallen oder von den anderen Beschäftigten aufgefangen werden, was angesichts der ohnedies hohen Arbeitsbelastung kaum zumutbar sei. Außerdem sei die Umsetzung mit erheblichen organisatorischen Aufwendungen und finanziellen Risiken verbunden, die die Möglichkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen sprengen.[2]
Allerdings haben auch einige, vor allem Großunternehmen bereits öffentlich angekündigt, die Familienpflegezeit anbieten zu wollen. Zu ihnen zählen u.a. Airbus Deutschland GmbH, BNP Paribas Versicherungen, Continental AG, Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG, Genworth Versicherung, Georgsmarienhütte GmbH, GLOBUS Handelshof, KfW Bankengruppe, Landeshauptstadt Wiesbaden, Lanxess AG, Roche Diagnostics GmbH und Sozialholding der Stadt Mönchengladbach. Aber auch Firmen, wie die Berliner Wohnungsbaugesellschaft degewo, bieten ihren Mitarbeiter/innen die Inanspruchnahme der Familienpflegezeit an. Noch ist offen, wie hoch die Nachfrage ist.[3]
Summa summarum nutzen die sozialpolitischen und gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeitreduzierung bzw. Freistellung vor allem denjenigen, die ihre Erwerbstätigkeit ohnedies reduzieren oder unterbrechen, weil dies materiell und familiär möglich, sinnvoll und normativ wünschenswert erscheint. Sie entlasten in der Regel nicht diejenigen, die Vollzeit erwerbstätig sind und pflegen, hoch belastet sind, aus finanziellen Überlegungen aber weder ihre Arbeitszeit reduzieren noch sich institutionalisierte Hilfe leisten können. Auch überlässt es die Finanzierung einer pflegerischen Entlastung in weiten Teilen den Pflegenden selbst.
Die entlastende Wirkung der gesetzlichen Regelungen bleibt aus sozial- und geschlechterpolitischer Perspektive betrachtet also zweifelhaft. Unter Verweis auf die drohenden Kostenexplosionen im Pflegebereich schreiben sie Strukturen innerfamilialer Arbeitsteilung fest, in denen insbesondere Frauen zum Teil bzw. ganz unentgeltliche Fürsorgeleistungen übernehmen und von ihren Partnern mitversorgt werden können.
Entsprechend groß war und ist von Seiten der Sozial- und Interessenverbände die Kritik am Familienpflegezeitgesetz.
[1] www.gesetze-im-internet.de/fpfzg/index.html
[2] www.focus.de/finanzen/versicherungen/kaum-interesse-an-neuer-regelung-mittelstand-winkt-bei-familien-pflegezeit-ab_aid_698945.html
[3] Aussage der audit-Projektleiterin Vanessa Wass in einem Gespräch vom 31. Mai 2012.