Ausstellungstipp
Germaine Krull im Gropius Bau

germanine_wikiGermaine Krull (1897-1943) zählt zu den wichtigsten Protagonist_innen der modernen Fotografie. In einer groß angelegten Retrospektive lädt in Berlin der Martin Gropius zur Wiederentdeckung der experimentellen Fotokünstlerin ein. In den über 130 Fotografien werden ihre Innovation und ihre neue Ästhetik wunderbar sichtbar. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich also unbedingt.

Krulls bewegtes, in jederlei Hinsicht experimentierfreudiges und modernes Leben beeinflusste ihre künstlerische Arbeit nachhaltig. 1897 in Ostpreußen geboren, wuchs sie in Italien, Frankreich und der Schweiz auf. Mit 18 Jahren begann sie ihre Fotografieausbildung in München. Nur zwei Jahre später eröffnete sie ihr erstes Fotoatelier. Sie fotografierte zunächst im Stil des Pictorialismus, der vor allem auf die symbolische Darstellung von Werten und Gemütszuständen abzielt. Die Fotos sind malerisch und weich.

Schon in ihrer ersten Schaffenszeit zeigt sich ihr Hang zum Exotischen – sie beschäftigte sich intensiv mit Buddhismus und Theosophie – zugleich ihr politisches Interesse und Engagement. Als engagierte Spartakistin war sie an der Novemberrevolution beteiligt. 1920 wurde sie deswegen aus Bayern ausgewiesen. Aus diesen Jahren sind zwei Portraits von Kurt Eisner, dem sozialistischen Revolutionär und ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, erhalten. Nach ihrer Ausweisung aus Bayern ging sie als politische Aktivistin nach Russland, musste nach einer Verhaftung durch den Geheimdienst aber 1922 nach Deutschland zurückkehren. 1925 übersiedelte sie nach Paris.

Dort schaffte sie ihren Durchbruch mit außergewöhnlichen Aufnahmen und Serien von technischen Bauwerken. Mit ihren Aufnahmen begründete sie einen neuen Typus von technischer Fotografie. Ihre Fotos führen in die Irre, geben dem Betrachter keine Orientierung, da sie mit Fragmentierung arbeitet und ungewohnte Perspektiven aufzeigt. Mit dem Fotoband „Métal“ 1927/28 wurde sie in die internationale Avantgardegruppe der „Nouvelle Vision“ aufgenommen.

Gemeinsam mit ihren Künstlerkollegen André Kertész und Elí Lotar entwickelte sie eine neue Art der Fotoreportage. Sie fotografierte mit einer kleinformatigen Icarette (6×9 cm), daher zeichnen sich ihre Bilder durch die Nähe zum Subjekt aus, sind von Aktualität und unkonventionellem Realismus ohne künstlerische Effekte geprägt. Zu ihren beliebten Motiven gehörten das Leben in den Arbeitervierteln, Markthallen, Jahrmärkten sowie der Umgebung von Paris.

In der Pariser Zeit entstanden auch viele Porträtaufnahmen von Künstlern wie Walter Benjamin, mit dem sie eine enge Freundschaft verband und der ihre politische, sowie ihre menschlich engagierte Haltung und auch ihre radikale Bildästhetik sehr schätzte. Bei ihren Porträtaufnahmen experimentierte sie mit Mehrfachbelichtungen und kollagenartigen Ausschnitten. Gern fotografierte sie auch Hände.

Zeitlebens blieb sie auch politisch aktiv, so trat sie etwa der France Libre bei, einer von General de Gaulle gegründeten Widerstandsbewegung, für die sie auch von Brasilien und Afrika aus tätig war. Während des erstens Weltkriegs fotografierte sie als eine der ersten Frauen auch Kriegsgeschehen. Dem ersten Weltkrieg folgte für Krull ein mehrjähriger Aufenthalt in Indochina, wo sie vor allem als Hotelmanagerin arbeitete und kaum mehr fotografierte. Sie schloss sich Anhängern des tibetischen Dalai Lama an und lebte mit ihnen in einem alten Tempel in Nordindien. Aus dieser Zeit sind einige Aufnahmen buddhistischer Stätten und Monumente überliefert.

1943 starb Krull im hessischen Wetzlar. Krull und ihr Werk gerieten in Vergessenheit. Ihre Arbeiten sowie ihr Beitrag zur Geschichte der Fototgrafie sind kaum erforscht. Das macht die Retrospektive im Martin Gropius Bau umso sehenswerter.

Bild: Erotische Fotografie 1890-1920 von Germaine Krull (Quelle: Wikimedia)


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