Proaktiv den Herausforderungen zu begegnen, die sich im Kontext der voranschreitenden Digitalisierung bereits heute abzeichnen, ist Credo der Betriebswissenschaftlerinnen Jutta Rump und Silke Eilers. In ihrem Buch „Auf dem Weg zur Arbeit 4.0“ legen sie ihren Fokus auf den Umgang mit diesen Trends und Entwicklungen in der betrieblichen Praxis. In verschiedenen Beiträgen aus Wissenschaft und unternehmerischer Praxis werden zentrale Aspekte näher betrachtet und vorausschauende Handlungsansätze identifiziert und vorgestellt.
Im ausführlichen Einleitungskapitel geben Rump und Eilers einen gleichermaßen kompakten wie profunden Überblick über Aspekte der digitalen Transformation, den demografischen Wandel und die Fachkräfteproblematik, die zunehmende Volatibilität (Unbeständigkeit) von Produktion und Dienstleistung sowie über Individualisierung und Wertewandel. Digitalisierung wird so im Kontext von weiteren zentralen Trends und Entwicklungen betrachtet und auf die jeweiligen Wechselwirkungen hin untersucht. Um die mit Arbeit 4.0 verbunden Chancen nutzen und die sich abzeichnenden Herausforderungen bewältigen zu können, haben die Autorinnen eine Reihe von Anregungen parat:
An allererster Stelle mahnen die Autorinnen den ganzheitlichen Blick an, der ernst nimmt, dass sich die technologischen Entwicklungen auf Unternehmenskultur, Betriebsklima, Führung, Organisation, Arbeitsabläufe, Geschäftsprozesse, Personalentwicklung, Zusammenarbeit, Gesundheit und Mitbestimmung auswirken. Digitalisierungsstrategien werden – so die These – nur dann nachhaltig aufgehen, wenn sie von grundlegenden Prozessen der Organisationsentwicklung, der Befähigung, der Entwicklung neuer Führungsmodelle, von Transparenz und Kommunikation flankiert werden, und wenn die Beschäftigten an den Veränderungsprozessen proaktiv beteiligt werden.
Punkt zwei betrifft die absehbar mehrdimensionale Entwicklung der Arbeitswelt, in der auf der einen Seite Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen stark rationalisiert und standardisiert werden, die viel Routinearbeiten umfassen und mit hoher Arbeitsverdichtung einhergehen. Demgegenüber sehen die Autorinnen auf der anderen Seite einen Bedeutungsgewinn von Arbeitsplätzen, die hohe Wissensintensität, Schnelligkeit und Flexibilität erfordern. Hier sehen die Autorinnen die Notwendigkeit, unterschiedsbasiert zu reagieren, um die betroffenen Beschäftigten angemessen zu fördern und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.
Mit Blick auf die zunehmende Individualisierung unterstreichen die Autorinnen, dass sich in Folge der Individualisierung beschäftigtenseitig die Erwartungen an die Arbeitswelt verändern. Aspekte wie Selbstverwirklichung, Handlungsspielräume, eine gelungene Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, die dem persönlichen Lebensentwurf entsprechen, gewinnen an Bedeutung und verdrängen traditionelle Anreize wie Status und hohes Einkommen. Die Pluralität von Lebensentwürfen und Werten wird, so prognostizieren die Autorinnen, weiter wachsen, wird sie doch durch die Digitalisierung weiter befördert. Insofern, so die dritte Empfehlung, wird Diversity Management zur sine qua non. Und dies trifft, so die Autorinnen, auf alle Diversitätskategorien zu, über den Lebensstil hinaus auch auf die Kategorien Geschlecht, Alter und Generationenzugehörigkeit, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle und religiöse Orientierung.
Ihre vierte Anregung betrifft das Führungsverhalten. So sind die Autorinnen überzeugt, dass, neben der Neugestaltung von Kooperation und Kollegialität, der Wandel der Führungskultur als eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, um in der Arbeitswelt 4.0 „die Nase vorn“ zu haben. Moderne Führungskultur müsse auf offene und flexible Netzwerkstrukturen, flache Hierarchien, Vertrauen in die Beschäftigten, Förderung ihrer Eigenverantwortung und ihrer Vernetzung untereinander sowie mit den Kund*innen setzen. Darüber hinaus erfordere Führung 4.0 ein Mehr an Ergebnisorientierung und das Selbstverständnis der Führungskraft als Coach und Dienstleister*in.
Auf der Ebene der Arbeitsorganisation führen die Autorinnen fünftens das Konzept der atmenden Organisationen ein, in denen die Stammbelegschaft auf einen festen Kern reduziert und um variable Arbeitsbeziehungen ergänzt ist. Dabei halten es die Autorinnen für unverzichtbar, für die Beschäftigten eine akzeptable Balance zwischen Variabilität und Stabilität herzustellen, betriebsintern Spannungskompetenz zu entwickeln und neue Kommunikations- und Kollaborationsformen anzubieten. Für den Umgang mit den Themen Entgrenzung, Präsenz, Erreichbarkeit und Verfügbarkeit brauche es grundsätzlich Spielregeln der Zusammenarbeit. Gleichzeitig halten es die Autorinnen aber auch für wahrscheinlich, dass es als Gegenpol zu solchen fluiden Organisationen sogenannte Care Companies geben wird, die ihre Beschäftigten und deren Familien an sich binden, indem sie ihnen attraktive Angebote rund um Wohnen, Work-Life-Balance, Gesundheit und Freizeit anbieten.
Die theoretischen Einführungen der Autorinnen werden im zweiten Teil des Buches durch Praxisbeispiele ergänzt. Gemeinsam mit Lisa-Maria Kreis und René Schmoll widmet sich Jutta Rump in einem weiteren Kapitel Handlungsansätzen strategischer Personalplanung. Barbara David stellt daran anschließend das Diverstiy Management in der Commerzbank vor, Hanen Georg das Seniorexperten-Modell der Bosch Gruppe. Weitere Praxisbeispiele liefern die Zahnen Technik GmbH, das Modehaus Marx und das Handelsunternehmen Globus.
Das Buch bietet einen hervorragenden Einstieg in die Thematik. Es ist bestens nachvollziehbar in der Aufarbeitung von Entwicklungen und theoretischen Zugängen sowie anschaulich in den Praxisbeispielen. Es eignet sich für Personaler*innen ebenso wie für Berater*innen und Themeninteressierte.
Rump, Jutta und Silke Eilers (Hrsg.): Auf dem Weg zur Arbeit 4.0. Innovationen in HR. 2017, Wiesbaden (Gabler Verlag).