Akademiker*innen erleben die Familiengründung als selbstbestimmt und selbstgewählt. Ihre Elternschaft bewerten sie als Gestaltungsspielraum, der emotionale Erfahrungen und Chancen biografischen Wachstums bietet. Am Übergang zur Erstelternschaft agieren sie pragmatisch und rational. Die Retraditionalisierung in der Paarbeziehung betrachten sie, weil selbst gewählt, als nicht problematisch.
Zu diesen Ergebnissen kommt Tina Kleikamp. Für ihr Dissertationsprojekt hat sie neun Akademikerpaare über viele Monate begleitet, von der Schwangerschaft bis in die erste Zeit nach der Geburt. Trotz der unterschiedlichen Familien- und Erwerbskonstellationen fand Kleikamp in den Erfahrungen und Deutungsmustern große Übereinstimmungen. Für die Befragten, zwischen 1975 und 1985 geboren, führt Tina Kleikamp deshalb den Begriff der „pragmatischen Generation“ ein.
So haben diese neun Paare die Veränderungen im Alltag und in der Paarbeziehung bereits vor der Geburt erwartet, den chronischen Schlafmangel, die Einbußen an persönlicher Freizeit und die stärkere Strukturierung des Alltags konnten sie gut bewältigen. Dass die Paarbeziehung nach der Geburt durch weniger Zeit zu zweit und geringere körperliche Nähe auskommen muss, vermochten sie durch ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl auszugleichen – alle Einschränkungen werden als normale und vorübergehende Begleiterscheinung wahrgenommen, wirkliches Konfliktpotenzial birgt dies nicht. Überrascht ist Kleikamp selbst von ihren Befunden zur partnerschaftlichen Aufgabenteilung und zu den Rollenbildern. Während die öffentlichen Diskurse zu Vater- und Mutterrolle „komplex, widersprüchlich und fundamentalistisch“ sind und der Mangel an alltagstauglichen Rollenbilder beklagt wird, beobachtet Kleikamp für ihre Fallbeispiele eine durchgängig unaufgeregte Orientierung am Modell einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung und eine durchweg pragmatische, wenig konfliktträchtige Aufgabenklärung.
Die Paare richten sich an ökonomischen und Karrierebedingungen aus. Entscheidungen folgen rationalen Überlegungen (wer verdient mehr, wer hat eine feste Stelle?). Grundsatzdebatten um Geschlechtergerechtigkeit führen die neun Paare nicht mehr, in Bezug auf Bildung und Beruf erwarteten sie die gleichen Chancen. Alle neun Elternpaare setzen mittelfristig auf eine für beide Elternteile gelingende Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ihr akademischer Beruf ist allen ein zentrales identitätsstiftendes Element, das Selbstverwirklichung, Anerkennung und Erfüllung bedeutet.
Dass die strukturellen Voraussetzungen gleichwohl noch häufig damit einhergehen, dass die Mütter mindestens im ersten Lebensjahr der Kinder beruflich kürzer treten, wird von den Paaren nicht als Ausdruck ungleicher Rollenvorstellungen gesehen, auch nicht mehr grundsätzlich kritisiert. Die Erwerbsminderung der Frauen wird eher als gegeben akzeptiert und als Ergebnis individueller Entscheidungsprozesse gewertet. Übereinstimmend mit früheren Forschungsarbeiten beurteilen aber auch die von Kleikamp begleiteten Paare – unabhängig von den individuell vereinbarten Arrangements – die Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit sowie die Situation der Kinderbetreuung als herausfordernd und problematisch.
Kleikamp erzählt lebensnah und empathisch, und nicht selten fühlt man sich mal schmunzelnd, mal schmerzlich an die eigenen Erfahrungen am Übergang zur Elternschaft erinnert. Das Buch ist sowohl für den wissenschaftlichen Diskurs als auch für die individuelle Auseinandersetzung mit dem Übergang zur Erstelternschaft eine Bereicherung.
Kleikamp, Tina (2017): Akademikerpaare werden Eltern. Rollenfindung, Bewältigungsstrategien und Belastungsfaktoren. Opladen, Berlin, Toronto. Verlag Barbara Budrich.