Beschäftigte, die Beruf und Pflege vereinbaren müssen, benötigen dringend Entlastung. Schon heute sind schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der Erwerbstätigen in die Pflege von Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen eingebunden. Es ist absehbar, dass immer mehr Menschen unterstützende Pflege benötigen und dass die Fürsorgeanforderungen an ihre erwerbstätigen Angehörigen steigen.
Das deutsche Pflegesystem setzt in der Bewältigung des stetig wachsenden Pflegebedarfs nach wie vor pflegende Angehörige voraus. In der Regel wird Pflege nach wie vor von Frauen geleistet, die ganz oder teilweise von der Erwerbstätigkeit freigestellt sind und deren Ehemänner/Partner den Großteil des Familienunterhalts bestreiten. Hinzu kommen Ehepartnerinnen oder Ehepartner die, bereits selbst verrentet, den jeweils anderen Partner pflegen.
Seit Jahren ist jedoch der Anteil der Frauen, die in solchen oder vergleichbaren familiären Strukturen leben, rückläufig. Charakter und Qualität weiblicher Erwerbstätigkeit verändern sich mehr und mehr. 25,7 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten in Berufen, die einen akademischen Abschluss voraussetzen. 23 Prozent tun dies in Vollzeit, weitere 25 Prozent in vollzeitnaher Teilzeit. Für sie bedeutet ihr Beruf in der Regel weit mehr als familiären Zuverdienst, der im Falle familiärer Anforderungen abwählbar erscheint. Berufliche Selbstverwirklichung und materielle Selbständigkeit haben für diese Frauen hohe Bedeutung.
Darüber hinaus sinkt zudem auch die Zahl der Menschen, die dauerhaft in stabilen Partnerschaften leben. Für mehr und mehr Frauen ist auf Grund von Trennung und/oder Scheidung Erwerbstätigkeit notwendig und finanzielle Unabhängigkeit Wert an sich.
Im Zusammentreffen von wachsendem Pflegebedarf, Veränderungen in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und einem Pflegesystem, das zu großem Teil auf der Angehörigenpflege aufbaut, hat das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ sozialpolitisch an Brisanz gewonnen. Vielerorts befürchtet man, dass immer weniger Frauen insbesondere Töchter bereit sein könnten, Pflegeaufgaben zu übernehmen. Noch scheint unklar, wie man dann die wachsenden Pflegeanforderungen personell und finanziell bewältigen soll. Häufig ist in diesem Zusammenhang die Rede von Pflegenotstand oder Kostenexplosion.
Die Pflegenden selbst stehen vor oft nur schwer zu bewältigenden Herausforderungen, wenn sie gleichermaßen pflegen und arbeiten. Erwerbstätigkeit und Pflege geraten vielfach und zusehends in Konflikt. Die Überforderung pflegender Angehöriger, die Beruf und Pflege nur unzureichend miteinander vereinbaren können, zeigen in vielerlei Hinsicht negative Folgen: Auf Seiten der Pflegenden lassen Konzentrations- und Leistungsfähigkeit vielfach nach, wenn die Belastung zu groß wird. Stressbedingte Krankheiten wie chronische Rückenschmerzen, Burn Out oder Depressionen haben in den letzten Jahren rasant zugenommen. Pflegebedürftige erhalten oft nicht mehr die Pflege und Zuwendung, die sie benötigen. Arbeitgeber sind herausgefordert, die ungelösten Vereinbarkeitskonflikte abzufedern.
Sie tun dies, wie jüngst eine Studie der berufundfamilie gGmbH gezeigt hat, vielfach aber nur zögerlich. Noch im Herbst 2011 gaben 62 Prozent der deutschen Arbeitgeber an, sich bislang nicht mit dem Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ beschäftigt zu haben. 71 Prozent konnten keine betrieblichen Maßnahmen zum Thema benennen. Die Mehrheit der Arbeitgeber ruft vor allem nach Unterstützung: 83 Prozent geben an, dass sie in Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege bislang nicht aktiv waren, weil es an Umsetzungshilfen und Tipps mangele. 80 Prozent halten betriebliche Angebote zur Vereinbarkeit für zu kosten- und 85 Prozent sogar für zu organisationsintensiv. Rund 30 Prozent der Arbeitgeber sehen sich selbst nicht in der Verantwortung, stattdessen sehen sie diese bei den betroffenen Familien oder dem Staat.
Lesen Sie weiter:
- Familienpflege und Pflegearrangements
- Familienpflege und Erwerbstätigkeit
- Motive zur Übernahme häuslicher Pflegeverantwortung
- Erwerbstätigkeit, Pflege und geschlechterpolitische Handlungsnotwendigkeit
- mit umfangreicher Literaturliste