Dr. Christine von Oertzen vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation die Entstehung von Teilzeitarbeit in der Bundesrepublik von 1948-1969. Die Dissertation wurde 1999 veröffentlicht.
Ihre zentralen Erkenntnisse aus dieser Arbeit fasste sie zusammen und stellte sie beim Mittagsgespräch am 5.12.2011 zur Diskussion:
Normalarbeitstag als Vollzeittätigkeit, die eine Familie ernähren kann
In der Zeit der Industrialisierung vollzog sich die Trennung von Erwerbs- und Reproduktionstätigkeit. In diesem Prozess bildete sich die Vorstellung von einem Normalarbeitstag von zunächst zehn und später acht Stunden heraus, der bis heute seine normative Wirksamkeit entfaltet. Mit der Vorstellung vom Normalarbeitstag wurde der Anspruch verknüpft, dass die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Familienmitgliedes, in der Regel des männlichen Familienoberhaupts, eine Familie ernähren können sollte. Es war die „Geburtsstunde“ des bürgerlichen Familienmodells, das über viele Jahrzehnte die deutsche Sozial-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik dominierte: Während dem Mann die Aufgabe zukommt, das Familieneinkommen zu erwirtschaften – und dies auf einer Vollzeitstelle -, hat die (Ehe-)Frau die nahezu alleinige Verantwortung für die Familienarbeit.
Wirklich umsetzbar wurde dieses Modell der Hausfrauenehe allerdings erst sehr viel später, nämlich unter den ökonomischen Bedingungen der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, wie Frau von Oertzen ausführte. Es waren dies die „goldenen Jahre“ der bürgerlichen Kleinfamilie mit dem erwerbstätigen Vater und der die Familie ver- und umsorgenden Mutter.
Entstehung von Teilzeit als Abweichung von der Norm
In diesen Wirtschaftswunderzeiten stieg allerdings auch der Bedarf an Arbeitskräften, so dass viele Betriebe die stille Reserve der nicht berufstätigen Frauen zu mobilisieren versuchten. Deshalb entstanden in den noch zahlreich existierenden Industriebetrieben Arbeitsplätze in Teilzeit, in erster Linie für gering qualifizierte Tätigkeiten. Dort, wo die Teilzeitarbeit vom Management gezielt gefördert und mental unterstützt wurde, erwies sie sich durchaus als wirtschaftlich zielführend.
Aber auch für höher qualifizierte Frauen bestand in den 1950er und 60er Jahren die Notwendigkeit, Teilzeitarbeitsverhältnisse zu schaffen. Betroffen davon waren vor allem Beamtinnen wie Richterinnen und Lehrerinnen. Auch im Bereich der Krankenpflege war man auf die Mobilisierung weiblichen Arbeitspotentials angewiesen.
Die Einführung von Teilzeit stand in diesen Bereichen völlig konträr zu den kulturellen Leitbildern des loyalen Staatsdieners und Dienstleisters, der seine Arbeitskraft ungeteilt dem Gemeinwesen zur Verfügung stellt. So standen Vorbehalte und Widerstände gegen die Teilzeit der pragmatischen Einsicht in die Notwendigkeiten vielfach entgegen, war Teilzeitbeschäftigung zwar notwendig, aber ungeliebt. Und so blieben die beamtenrechtlichen Bestimmungen unangetastet am Modell des verfügbaren Vollzeiterwerbstätigen orientiert.
Exkurs: Teilzeit in der DDR
Zunächst überraschenderweise fanden auch hier Entwicklungen statt, die Teilzeit als Abweichung von Normvorstellungen entstehen ließen. Auch hier waren in den 60er Jahren rund 30 Prozent der Mütter teilzeitbeschäftigt. Es war dies eine Folge der Tatsache, dass sich lange nicht alle Frauen mit dem veränderten Leitbild der gleichberechtigten Erwerbsbeteiligung identifizieren konnten und gegen ihre Integration in den Arbeitsmarkt opponierten. Weit davon entfernt, dies offiziell zuzugeben, wurde – in Abweichung von der Idealvorstellung – den Frauen als eine Art Übergangslösung auch die Möglichkeit zur Teilzeit eröffnet.
Primat des Familienwohls
Im Westen Deutschlands herrschte allgemein der Konsens, dass durch die Berufstätigkeit der Frau das Funktionieren der Familie nicht beeinträchtigt werden sollte. So entstanden Erwerbsmodelle für Frauen, die im Wesentlichen den Charakter von Zuverdienst hatten und jederzeit wieder abwählbar sein sollten, sofern die Familie unter der Erwerbsbeteiligung von Müttern zu leiden hatte.
Unter diesen Vorzeichen konnte man zudem den wachsenden Emanzipationswünschen der Frauen, die an einem eigenen Einkommen interessiert waren, entgegenkommen, ohne den sozialen Frieden zu gefährden.
Der Gesetzgeber schuf die Instrumente für die Absicherung der neuen Arbeitsverhältnisse und die heute noch in dieser Form existierende neue Steuerklasse V wurde eingeführt. Die Idee des Normalarbeitstages blieb unangetastet, ebenso das Konzept des Alleinverdienermodells.
Fazit
Das Konzept des Alleinverdienermodells, das mit einem Normalarbeitstag verknüpft war, prägte Struktur und Arbeitsorganisation. Es ging einher mit einem Modell der Geschlechterdifferenz, das dem Mann die Erwerbsrolle und der Frau die Familienversorgungsrolle zuschrieb. Es war gleichermaßen Folge und Reproduzent einer auf Differenz basierenden Geschlechterordnung.
Das Modell der Teilzeit, das sich in der Nachkriegszeit herausbildete, war von Anfang an als Abweichung von der Norm konzipiert und sollte jederzeit wieder abwählbar sein. Die so etablierte Teilzeit erschien wirtschaftlich sinnvoll und notwendig, mit Blick auf die Emanzipationsbestrebungen der Frauen akzeptabel und, so wie es gelebt wurde, mit dem kulturellen Leitbild des familienversorgenden Vaters kompatibel.
Oertzen, Christine von: Teilzeitarbeit und die Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik, 1948-1969. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1999.