Astrid Baerwolf nähert sich in ihrer Dissertation dem Verhältnis von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland. Sie tut dies mit dem Instrumentarium einer Ethnologin, in dichter Beschreibung und mit Blick auf Einzelheiten. Hierzu führte sie mit Frauen aus drei Generationen lebensgeschichtliche Interviews. Entstanden ist ein Buch, das natürlich auch die aktuelle wissenschaftliche Forschung zum Thema aufbereitet und jede Menge verlässliche Zahlen und Fakten bietet. Vor allem aber lässt sie die Frauen selbst zu Wort kommen. Bearwolf zitiert sie in langen Passagen und befördert interessante Erkenntnisse zu Tage.
Anhand der biographischen Erfahrungen charakterisiert sie die Entwicklung von Mutterschaft in der ehemaligen DDR, beziehungsweise in den neuen Bundesländern im Generationenverlauf. Sehr schön zeigt Baerwolf, wie sich nach der Gründung der DDR das Bild der voll berufstätigen Frau und Mutter geformt hat und welche Wirkmächtigkeit es entfaltet hat. Von hier aus lenkt Baerwolf den Blick auf die Generation der sogenannten Wendemütter, die mit dem Bild der voll berufstätigen Mutter aufgewachsen sind, und beschreibt die zahlreichen Brüche und Kollisionen dieses Lebensentwurfs mit den Vorstellungen von Arbeit und Familienleben, wie sie im Westen Deutschlands üblich waren. Gleichzeitig berichtet sie jedoch auch von Müttern, die auf Grundlage der Rahmenbedingungen etwa des öffentlichen Dienstes durchaus funktionierende Vereinbarkeitsarrangements gefunden haben.
Mit Blick auf die sogenannten Nachwendemütter skizziert sie die Anpassungsprozesse in Sachen Lebensentwürfen, Familienmodellen und Vereinbarkeitsarrangements. Die Nachwendemütter, so rekonstruiert es Baerwolf aus den Interviews, stellen das Vereinbarkeitsmodell ihrer Vorgängergenerationen in Frage und modernisieren es. Mutterrolle und Familienzeit erhalten verstärkte Bedeutung zugewiesen. Das Verhältnis von Arbeit und Familie wird neu ausgelotet und innerfamiliär verhandelbar. Im Vergleich dreier Generationen nähert sich Baerwolf dem generationellen Transfer von Vereinbarkeitsmodellen und schließlich dem grundsätzlichen Wechselspiel von Politik, Ökonomie und Famlie.
Das Buch sei all denjenigen empfohlen, die für die aktuelle Diskussion um das richtige Verhältnis von Arbeit und Familie auch gerne einen Blick in die Vergangenheit werfen, sich für familienpolitische Entwicklungen und für Systemunterschiede interessieren oder schlicht selbst im Osten aufgewachsen sind und sich mit einem fremden Blick auf die eigene Mutter- bzw. Kindheitserfahrung auseinandersetzen möchten.
Astrid Baerwolf (2014): Kinder, Kinder! Mutterschaft und Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland. Eine Ethnografie im Generationenvergleich, Wallstein Verlag